PEE/Griesheimer Anzeiger
4. Dez. 2014
Musikalisches Beben in der Melanchthongemeinde beim Konzert "Deep Organ on Rock"
Feierfreudig beging die Melanchthongemeinde in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen, schon in vielfältiger Weise. Zu den originellsten der vielen gelungenen Veranstaltungen gehört mit Sicherheit das Konzert des vergangenen Wochenendes. Musik kennt keine Grenzen – als universelle Sprache gelingt es ihr, auch ohne Worte zu vermitteln. Richtig interessant wird es, wenn Musik mit ihren internen Abgrenzungen bricht. Wenn sich die internen Trennlinien erweichen und die Genres ineinanderfließen. Solche Grenzen wie die zwischen E- und U-Musik zu überspringen, gilt immer noch als ein Wagnis. Ob man es als mutig empfindet oder es als schamlos bewertet, ist Ansichts- und Geschmackssache.
Die Melanchthon Gemeinde setzt mit dem extravaganten Hörangebot auf jeden Fall ein klares Zeichen für Offenheit, Aufgeschlossen-Sein. Nicht zuletzt spricht sie damit ebenfalls eine Einladung an die jüngere Generation aus und will die Kraft der geweckten Neugier nutzen, das letzte Schwellenzögern überwinden zu helfen. Wenn man aufeinander zugeht und in Kommunikation tritt, wird aus Toleranz ein Freudenfest.
Was passiert, wenn die Königin der Kirchenmusik ihre Krone bei Seite legt und wenn sich auf linken Sohlen Saxofon, Bass-Gitarre und Schlagzeug Zugang verschaffen zu den heiligen Hallen? Wenn man aufeinander zugeht und in Kommunikation tritt, wird aus Toleranz ein Freudenfest. Das bringt symbolisch aber hörbar, der Auftritt von D.O.O.R. zum Ausdruck.
Das „Deep Organ on Rock“-Projekt stellt den Versuch dar, Rockmusik mit den klassischen Instrument der Kirchenmusik zu verbinden. Mit alten und neuen Instrumenten wolle man einen Türöffner zwischen alter und neuer Musik installieren, erklären die Mitglieder. Sie weisen auch auf die wortspielerische Beziehung der beiden Bereiche: „Die Kirche ist bekanntermaßen gebaut, auf Jesus, dem Felsen, also auf Englisch: „The Rock“, sagen sie. Um den Riedstädter Organisten Bernhard Brand-Hofmeister fanden sich Schlagzeuger Thomas Tschur, Gerhard Schnitzspahn an der Gitarre und Alfred König am Bass zusammen. Die Melodiestimme übernimmt in den meisten Stücken das Saxophon von Manfred Gerber.
„Wenn die Orgel auf Rock trifft, kann es manchmal etwas lauter werden.“, erging die Warnung an das Publikum der übervollen Melanchthon Kirche. Charmant untertrieben, denn was ich da bot, war ein entfesselter Klangsturm. Virtuoses Tongebrause erfüllte den Raum. Die brave Sonntagsgottesdienstgesangsbegleiterin, war wild geworden und zeigte ihren jugendlich ungestümen Charakter. Die gemächlich Sanfte war kaum wiederzuerkennen in der Gesellschaft der neuen soundstarken Begleiter. Die Fusion aus Kirchen- und Rockmusik funktioniert schon deshalb, weil die Stücke bereits virtuose Tasteninstrument-Arrangements enthalten. Das furiose „Speed King“ ließ den Raum erbeben und die Hörer bis ins Mark erzittern. Hard-Rock vom Feinsten, bei dem der Dialog zwischen Gitarren- und Orgelpartie einen besonderen Reiz ausmacht. Das Hörerlebnis bleibt kantig und unterscheidet sich natürlich gravierend von den Harmonien des Deep-Purple-Songs. Ja, man spürte etwas: es berührt ein mit allen Sinnen, man kann nicht anders, als ich auf die Klangfülle einzulassen, die einen gänzlich umgibt. Dem eindringlichen Rhythmus vermag man sich nicht zu entziehen – warum auch? Ähnlich wie in Meditationen der Stille kann man auch zu tiefem inneren Empfinden gelangen, wenn man sich ganz dieser Klanglichkeit hingibt.
Ebenso ergreifend wirkt das im Original 17-minütige „In A Gadda Da Vida“ von Iron Butterfly. Das immer wiederkehrende Motiv in Bass und Gitarre unterstreicht, den fast meditativen Charakter. Ein unvergessener Nummer 1 Hit. Aus den 60er Jahren machte Jim Morrison unsterblich: „Light my fire“ begeisterte damals und brachte auch die Konzertbesucher in der neuen Version zum Jubelsturm. Dabei sollte es nicht bleiben, denn zum Grenzüberschreiten und zur Kommunikation gehört, ebenso das Publikum nicht in seiner passiv genießenden Rolle zu belassen. Als interaktiven Beitrag gestalteten die Musik. Das legendäre „Oye como va“ und baten um sangesstarke Unterstützung für Santana. Den krönenden Abschluss bildete „Whiter Shade of Pale“, der softe „Blues“, der bei Partys der 70er Jahre zu vorgerückter Schmusestunde nie fehlen durfte.
Bei D.O.O.R. hört es sich einfach kraftvoll an und man erkennt noch deutlicher die in der Komposition verborgener Hommage an Johann Sebastian Bachs „Air“. Die „good vibrations“ fallen nicht nur vom Himmel, sie entstehen genauso, wenn der Boden bebt und die Wände zittern, die guten Wellen und Botschaften erreichen das Herz.